8 1 E T T A B E D Umweltschutz oder Wirtschaftsförderung? In diesem Punkt waren sich Grünen-Chefin Baerbock und Gesamtmetall-Präsident Dulger einig: beides. Die Interview-Fragen stellte Dr. Marius Schneider (re.) »Es darf keinen Lockdown mehr geben. Weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern« Dr. Rainer Dulger Interesse. Wir müssen also unsere Soziale Marktwirtschaft auch ökologisch ausrichten und wir müssen Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Innovationen fördern. Ist ein solcher Krisenmoment, wie wir ihn gerade erleben, aus Ihrer Sicht der richtige Moment, um an der Sozialen Marktwirtschaft herumzudoktern, um eine sozial-ökologische Marktwirtschaft zu kreieren? Dulger: Ich teile Frau Baerbocks Grundeinstellung: Die So- ziale Marktwirtschaft, die die Freiheit des Marktes mit dem sozialen Ausgleich verbindet, ist und bleibt ein Erfolgsmodell. Auch ich bin stark dafür, dass wir einen gemeinsamen Weg fin- den, CO₂ zu reduzieren und den Umweltschutz weiter in den Vordergrund zu stellen. Wir dürfen allerdings nicht willkür- lich an einzelnen Punkten etwas vorschreiben wollen, wozu dieses Land oder auch die Industrie noch nicht in der Lage sind. Es darf auch nicht vergessen werden, dass eine ökolo- gische Ergänzung unserer sozialen Marktwirtschaft bereits stattgefunden hat. Wenn man die aktuelle Energiepolitik mit der von vor 20 Jahren vergleicht, wird das mehr als deutlich. Zur Krisenpolitik: Ich habe regen Kontakt ins Ausland, und egal wo ich hinkomme, die Menschen sind sich einig, dass wir Deutschen uns in der Corona-Krise äußerst gut geschlagen haben. Menschen beneiden uns um unsere starke Industrie, unsere starke Kanzlerin, das sehr starke und handlungsfähi- ge Parlament und die Regierung sowie um unser starkes Ge- sundheitssystem. Diese Tatsache zeigt mir, dass unser System funktioniert. Es funktioniert im Dialog mit den Gewerkschaf-afaf ten, es funktioniert im Dialog mit der Industrie, es funktio- niert im Dialog mit der Politik. Und das ist schon mal eine ganz wichtige Grundlage. Baerbock: Das stimmt. Corona hat uns allen auch die Stär- ken unserer Gesellschaft verdeutlicht. Gerade wenn wir schützen wollen, was uns in der Vergangenheit stark ge- macht hat, müssen wir uns in manchen Bereichen verän- dern. Nur Veränderung schafft Halt. Herr Dr. Dulger: Welche drei Dinge wünschen Sie sich von den Grünen unter der Führung von Frau Baerbock, damit Deutschland in fünf Jahren als Wirtschafts- standort optimal dasteht? Dulger: Erstens, es darf es keinen Lockdown mehr geben, weder in Deutschland noch in anderen europäischen Län- dern. Zweitens, keine weiteren Belastungen für die Wirt- schaft. Wir brauchen eine Art Belastungsmoratorium für die Wirtschaft, das zusätzliche Steuern und Abgaben ver- bietet. Und drittens: Die Digitalisierung unserer Schulen vorantreiben. Unser duales Ausbildungssystem mit Berufs- schulen und betrieblicher Ausbildung bildet das Rückgrat unserer Industrie. Dieses System müssen wir schnell und umfassend digitalisieren. Frau Baerbock, welche der drei Dinge können sie erfüllen? Baerbock: Beim letzten Punkt stimme ich voll mit Ihnen überein: WLAN und Tablets in die Schulen – und zwar schon in die Grundschulen. Ein pauschales Belastungsmoratorium sehe ich kritisch. So wenig wie es „die“ Politik gibt, gibt es „die“ Wirtschaft. Manchen geht es derzeit miserabel. Andere – wie der Onlinehandel – haben profitiert. Um den Mittelstand zu schützen, wäre eine Digitalkonzernsteuer nur gerecht. Warum sollen amerikanische Internetkonzerne steuerfrei ausgehen, während der deutsche Mittelstand zahlt? Zum Lockdown: Niemand weiß, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt, aber es muss alles dafür getan werden, dass Kitas und Schu- len offen bleiben. Es war einer der größten Fehler, Kinder und Familien so im Regen stehen zu lassen. Herr Dr. Dulger. Sie haben zwei Söhne. Angenommen, einer von ihnen bekäme einen tollen Job in der Entwicklungsabteilung E-Mobilität oder alternativ in der Entwicklung eines Superverbrenners für die S-Klasse. Zu welcher Entscheidung würden sie ihm raten? Dulger: Wir werden die nächsten zwanzig Jahre noch Ver- brennungsmotoren brauchen – und auch haben. Das steht außer Frage. Wenn mein Sohn mich aber fragen würde, was er machen soll: Verbrenner oder Elektro, ich würde ihm sa- gen, er soll tun, was ihm mehr Spaß bereitet. Das Gespräch moderierte Dr. Marius Schneider S E G A M I / Y T T E G N N A M E N U E H C S N E T S R A C , N E F F E T S E N N A , R A T H K A N M A I : S O T O F