1 2 »Für mich sind wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhalt keine Gegensätze.« Welche Anreize wollen Sie Unternehmen denn geben? Ein Beispiel: Wir können auch auf Bundesebene dafür sor- gen, dass wir öffentliche Aufträge nur an Unternehmen ver- geben, die einen Tarifvertrag haben. Das wäre ein handfes- ter Anreiz. Tarifbindung heißt ja nicht nur Lohnentwick- lung, sondern auch die Chance, eine moderne Arbeitswelt zu gestalten, etwa im Bereich der Weiterbildung. Hubertus Heil zur coronabedingten Kurzarbeit für Unternehmen, die in Weiterbildung investieren, einen Transformationszuschuss. Ist so ein Arbeit-von-Morgen-Gesetz mit seiner hohen Bürokratie der richtige Weg? Gerade für kleinere Unternehmen, die keine Abteilung für so etwas haben? Wir haben schon massiv entbürokratisiert. Dass es Qua- litätskriterien gibt, um den Transformationszuschuss zu bekommen, ist auch ordnungspolitisch sinnvoll. Es geht hier nicht darum, dass wir Yogakurse unterstützen, sondern um Investitionen in Qualifizierung, die uns voranbringt. Ich kann auch den Mitgliedern von Gesamtmetall raten, die ver- stärkt auf Weiterbildung setzen wollen, sich bei der Bundes- agentur für Arbeit zu informieren. Für Deutschland ist die Frage von qualifizierten Fachkräften entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft. Was passiert, wenn die Rücklagen der Arbeitsagentur aufgebraucht sind? Kurzarbeit ist sehr teuer. Aber die Alternative – die Rück- kehr zu Massenarbeitslosigkeit – wäre für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft um ein Vielfaches teurer. Deshalb setzen wir die Rücklagen der Bundesagentur ein und sorgen mit ei- nem Bundeszuschuss dafür, dass in der Krise die Beiträge nicht steigen müssen. Und wenn konjunkturell wieder gute Zeiten sind, kann die BA dann wieder Rücklagen aufbauen. Trotzdem wird man diskutieren müssen, wie wir die Not- wendigkeit von öffentlichen Investitionen in Zukunft ver- nünftig finanzieren. Die Zeit für massive Steuersenkungen wird auf viele Jahre nicht da sein. Wenn wir Steuern senken, dann wohl eher für kleine und mittlere Einkommen. Sie haben mal gesagt, dass für viele Berufsbereiche, die in der Corona-Krise Überdurchschnittliches geleistet haben, mehr Kohle statt Klatschen angesagt wäre. Was schwebt Ihnen vor? Meine Äußerungen bezogen sich vor allem auf Dienstleis- tungsberufe im Bereich Gesundheit und Pflege und den Ein- zelhandel. Es ist eine Frage von gesellschaftlicher Stabilität. Leistungsgerechtigkeit und wirtschaftlicher Ver- nunft, dass es für diese Beschäftigten höhere Löhne gibt. In der Pflege haben wir mit dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz schon einen entscheidenen Schritt geschafft. Aber da ist noch viel Luft nach oben. Auch deshalb möchte ich Anreize setzen für mehr Tarifbindung. Denn die sorgt für bessere Arbeitsbedin- gungen und höhere Löhne. Ein wichtiger Faktor aus Unternehmersicht sind die Sozialversicherungsbeiträge. Es wird befürchtet, dass sie Richtung 50 Prozent steigen. Was kann man tun? Wenn wir eine einigermaßen vernünftige Entwicklung bei den Sozialversicherungsbeiträgen haben wollen, sollte die erste Frage nicht sein: Was macht man im sozialen Si- cherungssystem? Stattdessen sollten wir uns fragen: Was macht man am Arbeitsmarkt? Die große demo- grafische Herausforderung spielt sich in Deutschland zwischen 2025 und 2040 ab. Dann werden die geburtenstar- ken Jahrgänge der sogenannten Babyboomer-Generation in den Ruhestand gehen. Dann wird die wichtigste Aufgabe sein, möglichst alle, die im erwerbsfähigen Alter sind, in Arbeit zu haben. Erstes Beispiel ist die Frauener- werbsbeteiligung. Die ist zwar gestiegen, aber viele Frauen arbeiten nach wie vor ungewollt in Teilzeit. Das zwei- te ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen auch beschäftigungs- fähig sind. Wir haben jetzt dafür ge- sorgt, dass es einen Rechtsanspruch da- rauf gibt, den Berufsabschluss nachholen zu können. Und drittens geht es auch darum, dass die Leute gesundheitlich und qualifikatorisch in der Lage sind, bis zum Renteneintritt arbeiten zu können. Die volle Integrati- on am Arbeitsmarkt ist die beste Bremse für die Erhöhung von Sozialversicherungsbeiträgen. Setzen wir nicht die falschen Anreize – nämlich früher und möglichst abschlagsfrei in Rente zu gehen? Abschläge gibt es nach wie vor. Der richtige Ansatz sind flexible Übergänge in den Ruhestand. Wenn man zum Beispiel sein Leben lang am Stahlofen arbeitet, finde ich es richtig, dass man nach 45 Versicherungsjahren ab- schlagsfrei in Rente gehen kann. Es gibt andere Bereiche, da wollen und können Menschen länger arbeiten. Dafür haben wir mit dem Flexirentengesetz Anreize geschaffen. Solche Potenziale müssen wir durch Prävention, Resilienz, durch vernünftige Formen des Ar- beitsschutzes und vor allem der Qualifi- zierung besser ausschöpfen. Dann kön- nen wir eine vernünftige Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge hin- bekommen. Ein höheres Versorgungsniveau, um Menschen länger in PERSPEKTIVEN 01_2021