9 2 E T T A B E D dass es doch nicht so einfach ist mit den Stromtrassen, um die Windkraft vom Norden in den Süden zu holen. Oder dass es doch nicht so einfach ist mit dem Ausbau der Bahnlini- en, dass das 26 Jahre dauert. Wenn wir da so weitermachen, haben wir schneller Flugzeuge, die mit Wasserstoff, synthe- tischen Kraftstoffen oder in kleineren Maschinen auch mit Elektro fliegen, als dass die Bahn richtig wettbewerbsfähig geworden ist. Damit würden die Grünen in Regierungsver- antwortung konfrontiert werden. Und da habe ich über- haupt keine Angst davor, dass dann auch die Grünen zur Einsicht kommen: Wir brauchen vielleicht doch schnelle- re Genehmigungsverfahren. Wir brauchen vielleicht doch nicht alle Gerichtsinstanzen. Wir brauchen vielleicht doch eine Stichtagsregelung. Wenn Sie in Ihrem Wahlkreis einen Mittelständler treffen, der als Zulieferbetrieb auf den Verbrenner eingestellt ist oder auf die Kohleverstromung, was sagen Sie diesen Männern und Frauen? Dass es ein Fehler ist, dass wir den Verbrenner verbieten. Wir müssen technologieoffen bleiben, allein schon als Signal an unseren Forschungsstandort. Klimapolitik ist ökonomisch eine Riesenchance. Jeder, der auf der Hannover-Messe war, weiß, was wir für Umwelttechnologien herstellen und wie viel Luft nach oben da noch ist. Aber das funktioniert nur, wenn wir Innovationen zulassen. Wann können wir Inno- vationen zulassen? Wenn wir technologieoffen sind. Deutschland ist nicht technologieoffen? De facto nein. Wir sehen das beispielsweise bei der Auto- mobilindustrie. Was in Brüssel passiert, ist zu stark elekt- rofokussiert. Wir müssen darauf pochen, dass Innovations- freudigkeit nur mit Technologiefreundlichkeit machbar ist. Das ist der eine Teil, wo wir als Union drauf schauen. Und der andere Teil ist, dass wir die Klimafrage global lösen oder gar nicht. Das Klima kennt keine Grenzen. Stimmt zwar, ist aber auch eine Plattitüde, die vom tatsächlichen Handeln ablenkt. Das muss uns allen klar sein – global oder gar nicht. Wir müssen auf europäischer Ebene an den Emissionshandel noch mal dran. Wir müssen mit den Europäern reden, wie wir da vorankommen. Wir brauchen einen internationalen Klimaclub. Die CDU ist immer die Partei, die das große Gan- ze im Blick hat. Und wenn man etwas im Blick haben muss, ist es Klima. Es ist eigentlich ganz einfach: Mit dem Emissi- onshandel können wir genau festschreiben, wie viel CO₂ wir noch verbrauchen dürfen. Daraus ergibt sich ein Preis. Und dann entscheiden Wirtschaft und Gesellschaft, wie wir am effizientesten CO₂ einsparen – und nicht die Politik. Wenn wir beim großen Ganzen sind, wie steht es um die Begrenzung der Lohnnebenkosten auf 40 Prozent? Ich glaube, die Debatte läuft im Moment falsch in Deutsch- land. Das Ziel ist richtig: 40 Prozent Sozialabgaben. Aber was nutzt es, wenn es umgangen wird, indem man in Zu- kunft viele soziale Leistungen über Steuern finanziert? Da müssen wir aufpassen: Belastungen sind Belastungen, egal ob über Steuern oder über Abgaben. Was empfehlen Sie also? »Klimapolitik ist ökonomisch eine Riesenchance. (...) Das funktioniert nur, wenn wir Innovationen zulassen. Wann können wir das? Wenn wir technologieoffen sind.« Carsten Linnemann über Technologieoffenheit Ich möchte, dass wir eine verbindliche Sozialstaatsquote einführen. Seit 2007 sind die Sozialleistungen von unter 27 Prozent auf heute über 30 Prozent des Bruttoinlandspro- duktes angestiegen. Und trotzdem wird gefordert, dass der Sozialstaat noch weiter ausgebaut wird. 30 Prozent Sozial- staatsquote muss reichen. Wir müssen das wie die Schul- denbremse im Grundgesetz festschreiben. Das wäre auch für uns Politiker eine Regelbindung – und damit ein Schutz, dass wir in der Sozialpolitik Geld nur an die wirklich Bedürf-rfrf tigen geben. Ich habe leider diesen Punkt im Wahlprogramm nicht durchsetzen können, aber ich werde mich in den Koa- litionsverhandlungen noch mal dafür einsetzen. Ab wann muss die nächste Regierung wieder die Schuldenbremse einhalten? So schnell es geht. Das muss eines der Top-3-Themen in den Koalitionsverhandlungen sein. Der Staat muss auf Hun- gerkur gesetzt werden. 2022 wird nicht funktionieren, das muss man einfach objektiv sagen. Deswegen würde ich vor- schlagen: 2023. So sollte es im Koalitionsvertrag ausgear- beitet werden. Und wenn die Grünen wie angekündigt die Schuldenbreme aushebeln wollen? Im letzten Jahr sind im Bundeshaushalt Dutzende Milliar- den Euro übrig geblieben. Zusätzlich haben wir zehn Mil- liarden Euro in einem Sondervermögen für Klima, für Di- gitalisierung. Es wird nicht abgerufen, weil die Verfahren nicht zu Ende sind. Die Projekte sind nicht planfestgestellt, die Ausschreibungen laufen noch. Wir können das Geld gar nicht alles ausgeben, welches der Staat momentan be- reitstellt. Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern ein Effizienzproblem in Deutschland. Wenn wir schon bei den Grundrechenarten sind: Wie geht es denn zusammen, dass die Union in ihrem Wahlprogramm eine Steuersenkung für Unter- nehmensgewinne von 30 auf 25 Prozent verspricht? Wo soll das Geld herkommen? Ausschließlich über Wachstum. Da muss man sich ehrlich machen. Wenn wir die Verwaltung modernisieren, werden auch Mittel frei. Unser Wahlprogramm hat zwei Teile. Der eine Teil ist der, den Sie gerade skizzieren, in Bezug auf die Wirtschaftspolitik. Der andere Teil ist Entfesselung, Auf-ufuf bruch, Neustart. Und wenn der andere Teil nicht funktio- niert, wird der erste auch nicht funktionieren. Die bedingen einander. Deswegen hoffe ich, dass wir mutig sind. In PERSPEKTIVEN 03_2021 R A T H K A N M A I : S O T O F