»Um ein Geschäfts modell lang fristig profitabel zu machen, sollte der technische Fortschritt Priori tät haben und nicht Subventionen.« Hubert Mongon, zum Beitrag der Industrie zur Energiewende. Hubert Mongon Nicht nur Deutschland forciert den Klimaschutz, ganz Europa soll mit dem Green Deal jetzt schnell CO2-neutral werden. Befürworten Sie diese Tempoverschärfung oder überfordern wir unsere Wirtschaft damit? Wettbewerber aus China und Indien haben es bekanntlich weniger eilig, wie wir in Glasgow feststellen mussten. Hubert Mongon: Es gibt in der Tat eine Spannung zwischen der Notwendigkeit, beim Klimawandel schnell zu handeln, und der Tatsache, dass all dies kurz- und mittelfristig Kosten mit sich bringt. Das bedeutet nicht, dass wir die Dekarboni- sierung nicht angehen sollen. Man sollte sich der Kosten und des langfristigen Zeithorizonts aber bewusst sein. Man muss investieren und kann nicht alles über Nacht ändern. Fabriken und Maschinen, die umweltverschmutzende Technologien verwenden, müssen ersetzt werden durch Fabriken und Ma- schinen, die energieeffizientere und weniger umweltschädli- che Technologien verwenden – und das in Volkswirtschaften mit einer niedrigen Wachstumsrate. R A A N E S S A W N E V E T S : O T O F 5 2 E T T A B E D Wie äußert sich diese Spannung konkret? Mongon: Wir müssen zugeben, dass die Veränderung aller Energie- oder Verkehrsstrukturen einer Volkswirtschaft nicht auf Biegen und Brechen erfolgen kann oder, wenn wir uns da- für entscheiden, dass dies Schwierigkeiten mit sich bringen kann in Bezug auf Beschäftigung, Know-how und Produktion. Dieses Zerstörungspotenzial ist auch sozial gefährlich. Wir können die Mitarbeiter nicht einfach mit einem Fingerschnip- pen recyceln wie eine Ware. Nehmen Sie den Automobilsektor. Er steht heute vor einer tiefgreifenden Herausforderung. Die französischen Automobilhersteller haben dies verstanden und akzeptiert. Aber um ein Elektro- oder ein Hybridauto zu bau- en, braucht es deutlich weniger Beschäftigte, als es für die Her- stellung eines Wagens mit Verbrennungsmotor braucht. Die Automobilhersteller, die unserem Verband angehören, schät- zen, dass sie den strukturellen Wandel in etwa zehn Jahren vollziehen könnten. Wenn es Politiker und Institutionen in Eu- ropa gibt, die dies in zwei, drei oder vier Jahren fordern, dann kann dies ein wirtschaftliches Problem darstellen. Den Rahmen der Transformation bildet der CO2-Preis. Im europäischen Handel mit Emissionszertifikaten kostet die Tonne mittlerweile mehr als 70 Euro. Welchen Preis braucht es langfristig, damit fossile Geschäftsmodelle unrentabel werden? Mongon: Der CO₂-Preis ist nur einer von mehreren Hebeln der Energiewende. Schon jetzt hat sich der Preis innerhalb von 18 Monaten verdreifacht. Wenn wir den CO₂-Preis auf ein paar hundert Euro pro Tonne setzen, dann würde dies nach und nach die Existenz ganzer Industrien in Europa ge- fährden. Es gibt andere Mittel, um den CO₂-Ausstoß zu ver- ringern. Ich erinnere nur daran, dass die Industrie der Wirt- schaftszweig ist, der die CO₂-Produktion in Frankreich seit 1990 am stärksten verringert hat. Ist der vorhandene Rahmen für die „grüne“ Trans- formation der Industrie also ausreichend? Mongon: Das ist von Branche zu Branche verschieden, die französische Industrie jedenfalls steht im internationalen Wettbewerb, und daher besteht durchaus ein Druck, diese Transformation anzustoßen. Man muss also nicht darum bet- teln, dass sie den CO₂-Ausstoß reduziert, sie macht es bereits, weil sie ein Interesse daran hat, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Wie Sie wissen, haben einige Stahlkonzerne für die- ses Jahrzehnt eine Umstellung von extrem umweltschädlicher Kokskohle auf Wasserstoff und Strom angekündigt. Dies ist auch das Ergebnis der heute schon hohen CO₂-Bepreisung. Hier reicht der Rahmen also aus für die Klimaneutralität. Die Ankündigungen erfolgen aber auch, weil der Staat die Wasserstofftechnologien nun kräftig fördert. Wie lässt sich sicherstellen, dass dabei die Prinzipien der Marktwirtschaft nicht unter die Räder kommen? Ziel kann ja nicht sein, einzelnen Sektoren eine Dauer- subventionen zu gewähren. Mongon: Als Industrielle fühlen wir uns nicht dazu berufen, von der öffentlichen Hand Dauersubventionen zu verlangen. Was wir wollen, ist, dass wir unsere Arbeit in einem Kon- text von mehr oder weniger fairen Wettbewerbsbedingungen mit unseren Handelspartnern und ohne unnötige Einschrän- kungen ausüben können. Es ist verständlich, dass es am PERSPEKTIVEN 04_2021