6 2 A M E H T L E T I T Schockwellen: Noch nie war die Bevölkerung so beunruhigt Es sehen den kommenden 12 Monaten mit Hoffnungen entgegen: Angaben in Prozent 1950 Koreakrieg 1961 Mauerbau 1973 1. Ölkrise 1979/80 2. Ölkrise Rezession und Flücht- linkswelle vom Balkan Anschläge vom 11. September 2008 Be- ginn Finanz- marktkrise 2001 Flüchtlings- welle und Corona- Krise Terror- anschläge 58 44 48 27 68 56 60 51 42 50 30 34 37 34 31 56 52 46 41 49 41 39 1949 1960 1970 1980 1990 2000 2010 19 2020 Basis: Umfragen jeweils am Jahresende, 1949–1989: Westdeutschland, ab 1990 Gesamtdeutschland; Quelle: Allensbacher Archiv, zuletzt IfD-Umfrage 12051 vonseiten des Staates höhere Steuern und Abgaben drohen. In der mittleren Generation, die mit Abstand den größ ten Teil der Steuer und Abgabenlast schultert, rechnen 73 Prozent für die nächsten Jahre mit steigenden Steu ern und Abgaben, nur 18 Prozent mit stabilen finanziellen Lasten; kaum je mand glaubt an eine Entlastung. Durch die Zusammenballung von Krisen und Risiken ist die Regierung jetzt mit gänzlich anderen Erwartun gen konfrontiert als bei ihrem Amts antritt vor wenigen Monaten. Sie hat te sich vor allem Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben und die Moderni sierung des Landes insbesondere durch Digitalisierung und Entbürokratisie rung. Jetzt steht sie vor den Herausfor derungen, die Verteidigungsfähigkeit zu stärken, die Energieversorgung zu si chern und die Inflation zu dämpfen oder zumindest für die Bevölkerung abzu mildern. Der Bevölkerung ist zurzeit vor allem die Sicherung der Energieversor gung und die Bekämpfung der Inflation wichtig. Dies sind Probleme, die ihre Si tuation unmittelbar beeinflussen; der Mehrheit ist aber auch bewusst gewor den, wie schlecht Deutschland für den Verteidigungsfall gerüstet ist. Vor zehn Jahren hielten lediglich zehn Prozent die Ausstattung der Bundeswehr für un zureichend, vor vier Jahren 38 Prozent, jetzt 59 Prozent. Entsprechend findet der Beschluss der Regierung, den Ver teidigungsetat massiv zu erhöhen, auch breite Zustimmung. Da die Regierung seit Monaten vom Krisenmanagement absorbiert ist, tut sich die Bevölkerung noch schwer, eine Bilanz der ersten Monate Regie rungszeit zu ziehen. Mit dem Umgang mit dem UkraineKrieg ist die Mehr heit zurzeit zufrieden. Deutlich skep tischer fällt das Urteil über die Ener giepolitik aus. 77 Prozent halten es für vordringlich, dass die Regierung auf die sem Gebiet das Land voranbringt und unabhängiger macht; 36 Prozent trau en der Regierung hier Fortschritte zu. Noch größer ist die Skepsis, ob die Re gierung Erfolge bei der Bekämpfung der Inflation erzielen wird: Zwei Drittel hal ten dies für wichtig, lediglich 13 Prozent glauben hier an Erfolge. Die Inflation wird für die Regierung in diesem Jahr mit zur größten Herausforderung; die Gefahr ist zurzeit groß, dass eine Spi rale in Gang kommt, die die Inflation antreibt und verlängert. Vertrauen in Regierung besonders beim Klimaschutz groß Auch bei der Bekämpfung der Pandemie, die für die Bürger nach wie vor zu den Top Ten der politischen Agenda gehört, sind viele zurzeit noch skeptisch, ob es nachhaltige Fortschritte geben wird. Die Beunruhigung über die Pandemie ist in den letzten Monaten jedoch deut lich gesunken; trotz der hohen Infekti onszahlen sind Ängste, sich persönlich zu infizieren, geringer geworden. Am meisten traut die Bevölkerung der neuen Regierung nach wie vor beim Klimaschutz zu. Diese Herausforderung ist zwar in der Agenda der Bürger unter dem Eindruck der Ereignisse der letz ten Wochen etwas zurückgefallen, ge hört aber nach wie vor zu den Top Ten. 55 Prozent halten es für besonders wichtig, dass die Regierung beim Klima schutz Fortschritte erzielt, 48 Prozent trauen ihr diese Fortschritte zu. Von Anfang an war die Bevölkerung über zeugt, dass die neue Regierung Klima schutz zu ihren Prioritäten zählt, mehr als alle anderen politischen Ziele. Bei anderen Anliegen, die der gro ßen Mehrheit wichtig sind, ist das Ver trauen in Fortschritte zurzeit noch ge ring. Das gilt sowohl für die Sicherung der Renten wie für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die steuer liche Entlastung der Bürger und die Verringerung der sozialen Unterschie de. Auch in Bezug auf die Forcierung der Digitalisierung sind Zweifel noch weit verbreitet. 50 Prozent der Bevöl kerung halten es für vordringlich, dass auf diesem Gebiet Fortschritte gemacht werden, lediglich 27 Prozent trauen der neuen Regierung in diesem Bereich Fortschritte zu. Trotz der weit verbreiteten Zwei fel, wieweit es der Regierung gelingt, bei den Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert ist, größere Fortschritte zu erzielen, ist der Rückhalt für die Koaliti on groß. Bei einer Wahl würde die Am pel auch jetzt eine komfortable Mehr heit erringen. Insbesondere SPD und Grüne haben nach den ersten Mona ten in der Wählergunst zugelegt, wäh rend die FDP etwas zurückgefallen ist. Niemand kann jedoch zurzeit ab schätzen, wie die Bevölkerung reagiert, wenn die Unsicherheiten weiter andau ern, die Risiken wachsen, die Inflation weiter hochbleibt oder sogar steigt und die Krisen immer mehr die persönliche Situation der Menschen erfassen.