Gemeinsame Erklärung des Handelsverbands Deutschland, des Deutschen Bauernverbands, des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall sowie des Gesamtverbandes der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände.
Mit Blick auf die Einigung im Koalitionsvertrag und die andauernde Debatte über eine politische Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde warnen wir als große Arbeitgeberbranchen die Politik eindringlich vor weiteren – auch indirekten – politischen Eingriffen in die unabhängige Entscheidungsfindung der Mindestlohnkommission und deren fatalen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Nach den Erfahrungen aus dem Jahr 2022 müssen rein politisch motivierte Anhebungen des gesetzlichen Mindestlohns der Vergangenheit angehören. Der Mindestlohn ist seit 2022 um mehr als 30 Prozent gestiegen. Viele Arbeitgeber, insbesondere im Mittelstand, können das finanziell bereits heute nicht mehr stemmen. Folge sind eine spürbar steigende Arbeitslosigkeit sowie viele Insolvenznachrichten. Hinzu kommen die perspektivisch steigenden Lohnnebenkosten. Als Verbände vermissen wir im Koalitionsvertrag zudem das klare und wichtige politische Bekenntnis von Union und SPD zu einer Obergrenze von 40 Prozent bei den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.
Die Tarifautonomie hat in Deutschland aus gutem Grund Verfassungsrang (Artikel 9 Abs. 3 GG) und muss vor politischen Eingriffen geschützt bleiben. Der Staat hat sich daher aus der Lohnfindung strikt herauszuhalten. Auch indirekte politische Zielmarken wie im aktuellen Koalitionsvertrag sind daher nicht akzeptabel, weil sie die Arbeit der unabhängigen und paritätisch besetzten Mindestlohnkommission präjudizieren können. Der rein politisch motivierte Eingriff in zahlreiche Tarifverträge durch eine sprunghafte staatliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Oktober 2022 auf zwölf Euro pro Stunde war extrem problematisch und hat auch bereits zu erheblichen Stauchungen im Tarifgitter vieler Branchen geführt. Zudem ist eine Differenzierung bei den Tariflöhnen von ungelernten Tätigkeiten bereits heute kaum noch möglich. Aber auch die darüber liegenden Tariflöhne mussten in der Folge nach oben angepasst werden, so dass die Lohnkosten insgesamt steigen. Außerdem fordern Gewerkschaften üblicherweise auch noch einen Abstand der Tariflöhne zum gesetzlichen Mindestlohn, was als zusätzliches Argument für Lohnsteigerungen in Tarifverhandlungen genutzt wird. Weitere politische Mindestlohnanhebungen würden diese Effekte nochmals massiv intensivieren und die Tarifbindung für viele Arbeitgeber dramatisch an Attraktivität verlieren lassen.
Erschwerend kommt aus Sicht der Verbände noch hinzu, dass zusätzlich ab dem 1. Januar 2023 auch noch die Midijobgrenze auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Einkommen bis zu 2.000 Euro im Monat deutlich ausgeweitet wurde. Dabei handelt es sich um eine Abkehr vom Grundsatz der Parität bei den Sozialversicherungsbeiträgen im Arbeitsverhältnis. Dieser Grundsatz wurde über Jahrzehnte von allen Seiten anerkannt. In der Folge ist es für Arbeitgeber nochmals zu einem zusätzlichen Personalkostenschub gekommen, dies hat vor allem den Dienstleistungssektor mit viel Teilzeit durch zusätzliche Personalkostensteigerung besonders stark getroffen. Ein hoher gesetzlicher Mindestlohn schadet zudem dem dualen Ausbildungssystem, denn viele junge Menschen könnten sich dann gegen eine nachhaltige Berufsausbildung entscheiden. Das schadet unserem Land, denn damit wächst der Anteil von Jugendlichen ohne Berufsausbildung und die Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten steigt weiter an, während gleichzeitig auf der anderen Seite Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. Am Ende verlieren alle: Die Wirtschaft büßt durch dramatisch steigende Lohnnebenkosten immer weiter an Wettbewerbsfähigkeit ein. Außerdem wird die Inflation weiter befeuert und die Preise steigen (Lohn-Preis-Spirale), so dass die Menschen durch ihre höheren Löhne keinen Zuwachs an Kaufkraft erlangen und zudem um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Hinzu kommen nun auch noch die US-amerikanische Zollpolitik und zunehmend instabile Börsenwerte, all dies hemmt die Investitionsneigung in unserem Land ohnehin bereits massiv.
Darüber hinaus leidet Deutschland unter einem massiven Bürokratie-Burnout. Arbeitgeber sind vielfach damit beschäftigt, Berichts- und Dokumentationspflichten nachzukommen, anstatt sich um ihre Kerntätigkeit zu kümmern. Das zeit- und kostenintensive „Pull-Verfahren“ für den Erhalt elektronischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) von den Krankenkassen etwa muss in ein unbürokratisches „Push-Verfahren“ überführt werden. Dann müssten Krankenkassen den Arbeitgebern das Vorliegen der eAU proaktiv mitteilen, eine entsprechende Absichtserklärung dazu lässt der Koalitionsvertrag leider vermissen. Außerdem braucht es mehr Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Erfreulich ist natürlich der im Koalitionsvertrag angekündigte Wechsel von der täglichen zu einer wöchentlichen Arbeitszeit, wenngleich dies nun schnell und direkt im Arbeitszeitgesetz umgesetzt werden müsste. Positiv zu erwähnen ist auch das Bekenntnis zur Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung.
Wir stehen vor großen Herausforderungen. Die kommende Koalition muss liefern, damit die Wirtschaft ihren Job machen kann. Wir stehen bereit – jetzt müssen die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Ein mehr und mehr staatlich gelenkter Mindestlohn gehört sicherlich in keinem Fall dazu.