Am 1. Juli 2024 begann die ungarische Ratspräsidentschaft. Damit leitet die ungarische Regierung für ein halbes Jahr alle Ratstreffen und fungiert als Agendasetter und Moderator für die Mitgliedstaaten. Dabei übernimmt die ungarische Ratspräsidentschaft mehr als 120 noch nicht abgeschlossene Rechtsakte von ihrem belgischen Vorgänger. Zudem wird sie programmatisch mit der Umsetzung der Strategischen Agenda 2024-2029 beginnen.
In dem Programm setzt Ungarn auf sieben Prioritäten:
- Neuer europäischer Wettbewerbsfähigkeits-Deal
- Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik
- Kohärente und leistungsorientierte Erweiterungspolitik
- Eindämmung der illegalen Migration
- Zukunft der Kohäsionspolitik
- Förderung einer an den Landwirten ausgerichteten EU-Agrarpolitik
- Bewältigung der demographischen Herausforderungen
Im Bereich der EU-Beschäftigungs- und Sozialpolitik sieht die ungarische Ratspräsidentschaft den Arbeitskräftemangel als größte Herausforderung, da sich dies zu einem großen Hindernis von Wirtschaftswachstum entwickelt hat. Diesen Arbeitskräftemangel will Ungarn adressieren, u. a. durch eine Mobilisierung ungenutzter inländischer Potenziale („mobilisation of internal labour reserves“) und plant dazu auch Ratsschlussfolgerungen. In dem Zusammenhang soll ein Schwerpunkt auf der Arbeitsmarktintegration von Berufseinsteigern und das Erhalten älterer Beschäftigter im Arbeitsmarkt auch über das Rentenalter hinaus liegen. Die ebenfalls notwendige Fachkräftezuwanderung aus Drittstaaten wird so allerdings etwas vernachlässigt.
Hinsichtlich der laufenden Gesetzgebungsprozesse in der EU-Sozialpolitik will Ungarn die Überarbeitung der Europäischen Betriebsräte Richtlinie finalisieren und strebt Fortschritte in den Gesetzgebungsverfahren zu Praktika und zur Verordnung 883/2004 zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme an – zum letzteren Punkt äußert sie sich jedoch nur zurückhaltend.
Zum einem der Kernelemente des Programms – dem „europäischen Wettbewerbsfähigkeits-Deal“ – fand bereits ein erstes informelles Treffen der Wirtschaftsvertreter statt, der in der „Budapester Erklärung“ kulminierte. Gefordert wird dabei u.a. eine bessere Rechtssetzung im Binnenmarkt, eine offene Außenhandelspolitik und eine ambitionierte EU-Industriepolitik.
Insgesamt ist der sehr wirtschaftsfreundliche Ansatz der ungarischen Ratspräsidentschaft gerade jetzt, in der Phase der Neufindung der EU-Institutionen und der Erstellung der Prioritäten der nächsten Kommission, sehr zu begrüßen – insbesondere nach der sozialpolitisch äußerst ambitionierten belgischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2024.