Bei tarifgebundenen Unternehmen bestimmt der Tarifvertrag, wie die Arbeitsbeziehungen mit den Mitarbeitern gestaltet sind. Der Tarifvertrag wird mit derjenigen Gewerkschaft geschlossen, die für die Branche zuständig ist: Das gilt für Flächen- wie für Haustarifverträge. Dabei können grundsätzlich verschiedene Gewerkschaften zuständig sein, zum Beispiel weil es für die gesamte Branche mehrere Gewerkschaften gibt oder weil sich eine Spartengewerkschaft gebildet hat, die einzelne Berufsgruppen im Wettbewerb mit der allgemeinen Branchengewerkschaft organisiert (so konkurrieren ver.di als Branchengewerkschaft und der Marburger Bund als Spezialistengewerkschaft um die Krankenhausärzte).
Als ein Gebot der Rechtssicherheit und Klarheit galt bis 2010 nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) der gesetzlich nicht fixierte Grundsatz der Tarifeinheit:
Innerhalb eines Betriebes ist nur ein Tarifvertrag anzuwenden, auch wenn mit konkurrierenden Gewerkschaften für die gesamte Belegschaft oder Teile von ihr inhaltlich von einander abweichende Tarifverträge geschlossen wurden. Hierzu kann es vor allem kommen, wenn eine Spartengewerkschaft aufgrund der Schlüsselstellung ihrer Mitglieder (zum Beispiel Lokführer) in hohem Maße streikfähig ist. Zur Anwendung kam bisher der speziellere Tarifvertrag – also derjenige, der dem Betrieb aufgrund seines räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereichs am nächsten steht.
Dadurch waren ein Haustarifvertrag vorrangig vor einem Branchentarifvertrag anzuwenden – und ein Tarifvertrag, der die gesamte Belegschaft erfasst, vorrangig vor einem Tarifvertrag, der lediglich für eine bestimmte Beschäftigtengruppe gilt.
Der Bundestag hat das Prinzip der Tarifeinheit gesetzlich wieder festgeschrieben und zum 3. Juli 2015 das Tarifeinheitsgesetz in Kraft gesetzt. Nach § 4a Tarifvertragsgesetz ist bei Vorliegen kollidierender Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften nur derjenige Tarifvertrag im Betrieb anwendbar, dessen abschließende Gewerkschaft die meisten Mitglieder im Betrieb hat. Sollte über diese Regelung ein Tarifvertrag verdrängt werden, hat die betroffene Gewerkschaft ein Recht auf Nachzeichnung der verdrängenden Bestimmungen, so dass diese auch für die Mitglieder der „Minderheits-Gewerkschaft“ gelten. Die beteiligten Tarifvertragsparteien haben außerdem weiterhin die Möglichkeit, eine solche Situation der Überschneidung über den Geltungsbereich des Tarifvertrages zu vermeiden.
Mit Urteil vom 11. Juli 2017 hat das Bundesverfassungsgericht das Tarifeinheitsgesetz bestätigt und grundsätzlich für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Es hat damit für Klarheit gesorgt und das Prinzip ‚Ein Betrieb – ein Tarifvertrag‘ bestätigt. In der Begründung verweist das Gericht u.a. darauf, dass es kein Recht auf unbeschränkte tarifpolitische Verwertbarkeit von Schlüsselpositionen und Blockademacht zum eigenen Nutzen gibt. Es gebe auch keine generelle Bestandsgarantie für einzelne Koalitionen. Die Herstellung und Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie sei ein legitimes Ziel des Gesetzgebers. Dabei könne der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, um strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, dass Tarifverhandlungen einen fairen Ausgleich ermöglichen.
Gesamtmetall begrüßt diese Entscheidung. Ohne die Tarifeinheit könnten kleine Spezialistengewerkschaften mit hohem Erpressungspotential zu einer Verschiebung des Kräftegleichgewichts führen. Die partnerschaftliche Tarifpolitik zum Nutzen der gesamten Belegschaft würde erschwert werden. Insbesondere beschäftigungssichernde und -fördernde Tarifregelungen wären unmöglich, wenn einzelne Gruppen ihre Interessen ohne Rücksicht auf die Gesamtheit durchsetzen könnten. Letztendlich stand auch die friedenssichernde Funktion des Flächentarifvertrags auf dem Spiel, da während der Laufzeit des Flächentarifvertrags jederzeit Arbeitskämpfe ohne Rücksicht auf die Gesamtbelegschaft geführt hätten werden können.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil aber Vorkehrungen gefordert, dass Belange von Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen im Hinblick auf die Verdrängung von bestehenden Tarifverträgen berücksichtigt werden. Zu diesem Punkt ist bis zum 31. Dezember 2018 eine gesetzliche Regelung zu treffen.