Sehr geehrter Herr Bundesminister Heil,
mit großem Befremden haben wir Ihren Brief vom 9. September 2024 an die Vorsitzende der Mindestlohnkommission, Frau Christiane Schönefeld, zur Kenntnis genommen. Eine solche Einmischung in die Arbeit der unabhängigen Kommission durch ein Organ der Exekutive dürfte ein einmaliger und zugleich bedauernswerter Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik sein.
Der Gesetzgeber hat nicht ohne Grund ausdrücklich festgelegt, dass die Mitglieder der Mindestlohnkommission bei der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit keinen Weisungen unterliegen und sich zudem eine eigenständige Verfahrensordnung geben, die Ausfluss der gesetzlich zugestandenen Autonomie ist. Die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit der Kommission ist ein zentraler Pfeiler des deutschen Mindestlohnrechts. Bereits aus diesem Grund verbieten sich jedwede Vorgaben der Exekutive, mit denen künftige Entscheidungen der Kommission gesteuert werden sollen.
Erst recht verbieten sich falsche Vorgaben, die hier offenbar unter dem Deckmantel der Mindestlohnrichtline gemacht werden sollen. Befremdlich ist dies besonders vor dem Hintergrund, dass Sie selbst zutreffend konstatieren, dass das geltende deutsche Mindestlohnrecht die Vorgaben der Mindestlohnrichtlinie ausreichend umsetzt. Das ist in der Tat korrekt. Aus dem Zusammenspiel von § 9 Abs. 2 und 4 MiLoG sowie den Vorgaben der Kommission, die sie sich selbst im Rahmen ihrer autonomen Verfahrensordnung gegeben hat, werden die Vorgaben des Art. 5 der Mindestlohnrichtlinie ausreichend erfüllt, wenn nicht sogar übererfüllt. Dies gilt insbesondere für die angemessene Umsetzung der vier zentralen und maßgeblichen Kriterien zur Findung eines Mindestlohns, die in Art. 5 Abs. 2 der Mindestlohnrichtlinie niedergelegt sind. Das dürfte unstreitig sein.
Rechtlich nicht haltbar ist hingegen die Forderung bzw. Behauptung, dass bei der nächsten Anpassungsentscheidung der „Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns“ von der Kommission zu berücksichtigen ist. Dies ist eine stark verkürzte und damit falsche Darstellung der Mindestlohnrichtlinie. Nach Art. 5 Abs. 4 der Mindestlohnrichtlinie legen die Mitgliedstaaten bei ihrer Bewertung der Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne zwar Referenzwerte zugrunde.
Zu diesem Zweck können sie auf internationaler Ebene übliche Referenzwerte wie 60 Prozent des Bruttomedianlohns und 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns und/oder nationale Referenzwerte anwenden. Gleiches findet sich im Erwägungsgrund 28 der Richtlinie. Das ist auch konsequent, denn die EU hat – wie Sie wissen – nach Art. 153 Abs. 5 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ohnehin nicht das Recht, quantitative Vorgaben zum Arbeitsentgelt zu beschließen. Eine Interpretation von bloßen Referenzwerten als verbindlich ist daher ausgeschlossen. Dennoch suggeriert Ihr Schreiben an die Kommission ein „Müssen“, wo nur ein „Können“ geregelt ist. Das ist juristisch falsch und damit für die künftige Arbeit der Kommission in dieser Form unerheblich.
Auch im Übrigen ist es nicht Aufgabe der Mindestlohnkommission, bloße Referenzwerte des europäischen Rechts in einem politisch motivierten Überbietungswettbewerb in Beschlüsse umzusetzen. Erst recht nicht auf Weisung. Ehrlicher wäre es daher gewesen, Ihre Forderung abseits Ihres Amtes als Bundesarbeitsminister als Zielmarke des anstehenden Wahlkampfs zu erheben – so wie es der Bundeskanzler bereits getan hat. Diese zu erwartende Debatte um die offenkundig von der heutigen SPD gewollte Politisierung des Mindestlohns führen wir als Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände gerne und mit Herzblut. Unsere Position hierzu ist klar und wurde bereits von Ihrer Vorgängerin im Amt, Andrea Nahles, präzise formuliert: Wir wollen keinen politisch festgesetzten Mindestlohn. Das öffnet Willkür und Populismus Tür und Tor.
In diesem Sinne freuen wir uns auf die anstehenden Debatten und stehen für einen weiteren Austausch gerne zur Verfügung. Eine Abschrift dieses Schreibens lassen wir auch der Vorsitzenden der Mindestlohnkommission zukommen.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Dennebaum
Pressesprecher
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