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„Wir erleben gerade eine regelrechte Investitionskatastrophe“

Konjunktur

Interview von Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander zur wirtschaftlichen Lage der M+E-Industrie und zum sogenannten Wachstumspaket der Bundesregierung

Wirtschaftswoche: Herr Zander, entgegen früherer Prognosen ist die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,1 Prozent geschrumpft. Wie sehr hat Sie das überrascht?

Oliver Zander: Das ist überhaupt nicht überraschend. Wir haben eine ganz schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland – nicht nur in der Metall- und Elektroindustrie, sondern in der Industrie insgesamt. 2018 war das bisher stärkste Jahr für die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, dann kam die Rezession 2019, die Corona-Pandemie 2020 und der Ukraine-Krieg seit 2022. Davon konnten sich die Unternehmen bislang nicht erholen. Aktuell liegt die Produktion 15 Prozentpunkte unter dem Vorkrisenniveau von 2018.

Die Auslastung der Unternehmen aus der Metall- und Elektroindustrie hat sich jetzt erneut verschlechtert. Sie liegt im Juli 2024 auf nur bei 78 Prozent – niedriger war sie nur während der Finanzkrise 2009 und in der Pandemie 2020. Woran liegt das?

Die Kunden rufen verbuchte Aufträge kaum oder nur noch zögerlich ab. Das wirkt sich natürlich negativ auf die Auslastung in den Unternehmen aus. Und eine Besserung ist hier nicht zu erwarten. Zudem erleben wir gerade eine regelrechte Investitionskatastrophe. Bei den direkten Investitionen der Unternehmen in Deutschland sind seit 2021 im Saldo 300 Milliarden Euro abgeflossen. Die Folge: Der Kapitalstock veraltet zunehmend.

Das heißt?

Das heißt, dass Investitionen vermehrt im Ausland stattfinden, weil die Standortbedingungen in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Und das hat zur Folge, dass der Standort Deutschland mit immer älter werdenden Fabriken und Maschinen mit den Standorten konkurrieren muss, wo investiert wird und neue Fabriken stehen. International werden wir so immer weiter abgehängt. Wenn jetzt nicht zeitnah umgesteuert wird, werden wir eine noch stärkere Deindustrialisierung erleben.

Aber genau das will die Bundesregierung jetzt ja mit ihrem Wachstumspaket tun. Die Ampel hat sich auf 49 Maßnahmen geeinigt, mit denen Investitionen angereizt und Wachstum ausgelöst werden soll. Überzeugt Sie das nicht?

In dem Paket sind viele gute Maßnahmen drin, von verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten bis hin zum Bürokratieabbau, aber es sind eben nur einzelne kleine Stellschrauben, an denen gedreht werden soll. Wir brauchen aber eine echte Strukturreform hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, weil wir eben nicht nur konjunkturelle, sondern tiefgreifende, strukturelle Probleme haben.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen beispielsweise dringend ein Umsteuern bei den Sozialversicherungsabgaben. Wir laufen jetzt auf 42 Prozent zu und wenn wir nichts machen, landen wir 2040 bei fast 50 Prozent. Hier müssen wir zurück Richtung 40 Prozent. Wir haben ein massives Problem mit fehlenden Fach- und Arbeitskräften, wir haben Probleme mit der Infrastruktur, wir haben Probleme mit der Digitalisierung, wir haben Probleme mit der Bürokratie und wir haben Probleme mit extrem hohen Energiekosten. Hinzu kommt die international hohe Last bei den Unternehmenssteuern. Das schiebt sich im Moment alles wie so eine Gewitterfront zusammen. Wir erleben ja, wie sich fast täglich Unternehmen gegen den Standort entscheiden oder Stellen abbauen.

Mit Blick auf Ihre Branche meinen Sie etwa Entscheidungen wie von Miele, die Waschmaschinenproduktion nach Polen zu verlagern, den Stellenabbau bei ZF oder die Verkleinerung von BASF?

Ich will mich nicht zu einzelnen Unternehmensentscheidungen äußern, aber sie alle sollten doch als Warnsignal verstanden werden. Denn wir verlieren mit jedem Industriearbeitsplatz enorm an Wertschöpfung. In der Metall- und Elektroindustrie liegt sie knapp dreimal so hoch wie zum Beispiel im Einzelhandel. Und das hat natürlich eine Kette von Folgen, da geht es um Know-how-Verlust genauso wie um ausfallende Kaufkraft. Was mich besonders besorgt ist, dass wir aufgrund der hohen Energiepreise sehr viel Grundstoffindustrie verlieren. Und wo die Herstellung von Grundstoffen reduziert wird, reduziert sich natürlich auch die Weiterverarbeitung, die Veredelung und die Produktion mit diesen Stoffen im Inland. Und das reduziert dann am Ende natürlich auch Forschung in den Unternehmen. Wir dürfen unsere sehr breite und tiefe Wertschöpfungskette nicht beschädigen. Und dafür brauchen wir schnellstmöglich wettbewerbsfähige Energiepreise. Denn wer hofft, dass sich nach der Aufgabe einer Produktionsstätte hier nochmal energieintensive Industrie ansiedelt, der ist mehr als naiv.

Genau deshalb würde der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck ja gerne ein schuldenfinanziertes Investitionspaket auflegen. Auch der Bundesverband der Industrie hat sich kürzlich für ein Sondervermögen von 400 Milliarden Euro für Investitionen in den Standort Deutschland ausgesprochen. Wäre das aus Ihrer Sicht eine Lösung gegen die Wachstumskrise?

Bloß nicht, das halte ich für völlig absurd.

Das ist ja eine deutliche Absage.

Ja, denn ich glaube, dass damit nur eine Sache wächst und gedeiht: der Schuldenberg. Wir haben doch heute schon Steuereinnahmen von fast einer Billion Euro – das muss doch reichen. Dafür muss man aber natürlich richtig priorisieren. Wir haben aber in den vergangenen Jahren erlebt, wie immer mehr Bundesfinanzmittel ins Soziale flossen, der Posten, der heute den größten Anteil am Bundeshaushalt hat. Und wir erleben auch, wie die Staatsverschuldung um uns herum steigt. Frankreich liegt bei 110 Prozent, die Italiener noch höher. Bei den Amerikanern wird vielleicht bald ein Viertel des Haushalts nur für Zinsen ausgegeben werden. Das ist doch nicht nachhaltig. Aber eine Ausnahme würde ich machen.

Und zwar?

Wenn das Sondervermögen für die Verteidigung ausgelaufen ist, könnte eine weitere Aufstockung oder gar ein neues Sondervermögen notwendig sein, um das Nato-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Ausgabe für Verteidigung dauerhaft zu erreichen. Aber abgesehen davon kann ich die Bundesregierung nur dazu auffordern, was jeder guter Unternehmer in Deutschland macht: richtig investieren – und jede Position, die nicht gebraucht wird, zu streichen. Neben der Migration wird die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend sein bei der nächsten Bundestagswahl. Die Ampel sollte also allein schon aus Eigeninteresse alles dafür tun, dass Investitionen in den Standort Deutschland wieder attraktiver werden und der Standort dadurch insgesamt gestärkt wird – dafür braucht es aber mutigere Schritte, um die Unternehmen zu entlasten. Ich bezweifle, dass alle Parteien der Ampel dazu fähig sind.

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